Zahlen, bitte (#5) (Für Genießer)

„Es ist unmöglich, die Annehmlichkeiten des Daseins zu genießen, ohne gleichzeitig vernünftig, edel und gerecht zu leben.“ Es entzieht sich meiner Kenntnis, mit welchen Spitznahen Epikur jene verunglimpfend belegte, die seinerzeit stocktumb diese Hürde nahmen. Für die Jetztzeit mag die ganze Bande sich frei nach Philosoph Haddock bescheiden mit einem schlichten „Arschgeigen, Herzlose, Hirntote, vermaledeite.“

Natürlich sagen wir das denen nicht auf den Kopf zu, den Nachbarn, Verwandten, Bekannten, Freunden, die sich „zwischen den Jahren“ einfinden, sich bewirten lassen und sich freuen über die schönen Getränke und Geschenke. Natürlich sprechen wir das ganze unerfreuliche Thema gar nicht an, aus Erfahrung. Der Kreis der wahren Freude ist ja eh schon mikroskopisch klein, und die polternden Gutmenschen unter denen sind, weit weg, so ganz und gar allein, erst recht zum Fest.

Und, eben, das Glashaus: Wir haben uns ja auch nicht mit Ruhm bekleckert dieses Jahr. Sind wieder weit unter dem Fernziel durchgerauscht, das da lautet „Milde Gaben p. a. in Höhe von 10% des Bruttoeinkommens.“ Schlappe 2% haben wir geschafft. Pah. Lächerlich. Gerade mal so über der Minimalanforderung an jeden, der sich „Mensch“ nennen will. Denn wer „1%“ nicht schafft, der verdient ja wahrlich nichts anderes als „Arschgeige“ und den ganzen Rest von oben.

Zahlen, bitte? Die Reichen und die Armen schaffen das. Jene, die zwischen 0 und 50.000 € brutto im Jahr einnehmen, geben für die noch Ärmeren durchschnittlich 1,2% ihrer Mittel. Jene, die über 500.000 verdienen, schaffen´s auch, mit durchschnittlich 1,6%.

Dazwischen: Die Kreise, in denen wir uns vorwiegend bewegen, bestehend aus Menschen mit Bruttoeinkommen zwischen 50.000 und 100.000 sowie ein paar mit Einnahmen darüber. Niemand in diesen Kreisen leidet Not, jede und jeder könnte schmerz- und problemlos teilen, die meisten auch problemlos 10% weitergeben – sie aber sind sogar von dem lächerlichen „1%“  weit entfernt, die Mittelständler. Durchschnittlich 0.4-0,6% vom Brutto kommen an den Taschenigeln vorbei, und hier scheint das ganze Elend des ebenso gefühl- wie moralfreien Durchschnitts durch. Zu reich, um noch zu fühlen, wie weh Armut tut, zu „arm“ (mit Blick in Richtung derer „da oben“), um sich in irgendeiner 1%-Pflicht zu sehen, zu blöd, um über die eigene alltägliche Unselbständigkeit und den abendlichen Tatort hinaus die Welt überhaupt wahrzunehmen.

Ich sollte eine Kleinanzeige aufgeben: „Suche neue Bekannte.“ Allerdings müsste ich vorher wohl umziehen, in die USA (Gesamtschnitt 2% vom Brutto), die Schweiz (1,2%), nach England (1,1%) oder nach Belgien, Holland, Schweden (alle so um 1%), und landschaftlich finde ich´s hier ja nun wirklich, zugegeben, ganz wunderschön.

Und so lächelt er, der harmoniebemühte Wicht, fragt „noch ein Filet, ihr Lieben? Noch etwas Wein?“ und knirscht nachts mit den Zähnen.

Leserat für Weckrufinteressierte: Peter Singer – Leben retten. Wie sich die Armut abschaffen lässt – und warum wir es nicht tun (Dt. von Olaf Kanter, Arche 2010, 267 S., 17.90 €).

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Zahlen, bitte (#4)

Huh? Oder auch: mit dickem Fragezeichen überm Kopf – übern Daumen:

11 Millionen Kinder bis 14

4 Millionen Jugendliche 14-18

2,5 Millionen Studenten

3 Millionen Arbeitslose

20 Millionen Rentner

4 Millionen Frührentner/Berufsunfähige

6 Millionen Hausfrauen/männer und Einkommenslose.

Das wären ja schon bummelig 50 Millionen, also muss ich mich in den ganz offiziellen Zahlen irgendwo verzählt haben, denn denen zufolge gibt´s ja außer den addierten 50 noch weitere 41 Millionen Erwerbstätige, und da wir nur 80 Millionen Einwohner haben … mei. Aber gut. Gehen wir von tatsächlich 40 Millionen Erwerbstätigen aus. Davon sind amtliche 21% Niedriglohnempfänger, also 8 Millionen, dazu werkeln weitere 3,3 im öffentlichen Dienst (und zahlen keine Sozialabgaben). Bleiben also knapp 29 Millionen Menschen, darunter (historischer Rekord) 1,2 Millionen freiwillig oder unfreiwillig Selbständige, die ebenfalls nicht zwingend in Kranken- und Rentenkassen einzahlen. Bleiben also trotzdem etwa höchstens 28 Millionen Menschen, die – je nach Lesart – 50 oder 60 Millionen mittragen.

Bei leeren Kassen und hoher Staatsschuldenlast bedeutet das: Jeder einzelne dieser 28 Millionen teilt sein Einkommen mit 2 anderen, und genau deshalb behalten wir von unserem Bruttolohn nur 1/3 behalten resp. zahlen alle, durch die Bank, 70% Steuern und Abgaben.

Wo steckt mein Rechenfehler?

(Tipp: Nirgendwo. Neben der Einkommensteuer auch an die Mehrwert-öko-solidaritäts-benzin-spirituosen-glückspiel-tabak-etc-steuern denken und an die Neuverschuldung, dann passt´s schon.)

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Schotty …

… ist wieder da und knüpft nahtlos dort an, wo er den Feudel hat fallen lassen. Und der NDR war heute so nett, die Preview der ersten neuen Tatortreiniger-Folge herauszurücken. Enjoy.

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Warrior, unter Wert geschlagen

Die Spitzenfilme des abgelaufenen Jahres waren laut IMDB-Crowd The Dark Knight Rises, The Avengers, The Hunger Games und Prometheus. Recht hat der Schwarm, fraglos, dass alle vier mordsmäßig gelungen waren und hohen Unterhaltungswert bieten, dennoch rate ich zum Jahresausklang zur ergänzenden Ansicht meines letztjährigen Hollywood-Arthaus-Favoriten, nämlich: Warrior.

Huh? Zu viele Sportfilme geguckt*? Verrückt geworden? Möglich. Aber in meinen Augen ist Warrior kein Sportfilm, ebenso wenig wie Million Dollar Baby einer war, womit sich Warrior, wenn schon, am ehesten vergleichen lässt. Richtig ist, dass hier gehauen wird, und das nicht zu knapp, aber all die schrecklich gut gemachten Mixed-Martial-Arts-Kämpfe dienen lediglich als passender Hintergrund für ein großes und wunderbar erzähltes Bruderdrama, Vater-und-Söhne-Drama, Existenzdrama. Es geht, kürzer gesagt, nicht ums Gewinnen, sondern ums Verlieren. Also um Schmerz. Weshalb schon wieder der Hintergrund nicht passender gewählt sein könnte. Ach, kürzestmöglich: großes Thema, großes Buch (Gavin O´Connor & Anthony Tambakis), große Regie (O´Connor), großartige Schauspieler (Hardy, Edgarton, Nolte): große Kunst.

* Zugegeben, Unmengen. Weil ich nicht richtig gepolt bin für die Feierabendtaktik „Herr Kommissar, lösen Sie noch mal eben stellvertretend für mein Leben einen Fall“ und auch nicht permanent für „Comic Relief“ zu haben. Wer also z. B. noch immer bei Erwähnung von „Camp Nou“ leidet oder mit großer Vorfreude Woche für Woche der Fortsetzung des Echtzeit-Dramas um die 49ers und ihren jungen QB Colin K. entgegenfiebert, der schaut sich halt auch gern gut gemachte Heldengeschichten an, am besten solche, die ihre Wurzeln im Leben haben. Und wer so geneigt ist, der hat spezielle Freude an Filmen wie z. B. Invincible, Miracle und Moneyball. Verirrt der Geneigte sich obendrein noch in die Dokus Closer To The Edge oder Senna, kommt er vermutlich zusätzlich ins Grübeln über den Sinn seines eigenen Tuns und Treibens zwischen 9 und 5 und stirbt danach schlimmstenfalls für seine wahre Leidenschaft. Eingedenk der Tatsache, dass „Sterben“ dramaturgisch eh gesetzt ist: Es gibt schlechtere Todesarten, zum Beispiel die meisten anderen.

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Wahrheit und sehender Fleck

„Es nützt einem gar nichts, dass man versteht, dass es nicht so ist, wie die meisten glauben, weil die Tatsache, dass es die meisten glauben, eine unglaubliche Kraft entfaltet.“ (Franz-Josef Radermacher, Vortrag: Umwelt schafft Wissen)

Eben. Oder auch: Wahr ist, was wahr genommen wird. Ergänzend darf hier aber George Lakoff zu Wort kommen, respektive dürfen´s die von ihm zitierten Spin Dotors mit ihrer Erklärung für den Irak-Einmarsch (sowie alles andere): „Ihr wollt immer die Wahrheit wissen über eine Realität. Während ihr nach der Wahrheit sucht, kreieren wir eine neue Realität. Wenn ihr dann in der neuen Realität wieder eine Wahrheit sucht, kreieren wir wieder eine neue Realität. Wir wollen gar nicht die Realität verstehen, wir wollen unsere Realität erzeugen.“

Weshalb die gute alte Heuschrecke George S. zurecht konstatiert, der Fortbestand unserer offenen Gesellschaft entscheide sich an genau dieser Frage: Ob wir weiter nach Wahrheit streben – oder eben nicht. Wozu wiederum der längst unterirdisch rotierende Gründervater Thomas Jefferson klare Vorstellungen und passende Worte hatte, nämlich diese: „I was bold in the pursuit of knowledge, never fearing to follow truth and reason to whatever reason and whatever results they led, and bearding every authority which stood in their way.“

Lange her.

Wo nun allerdings eifrige Spin Doctors allein zuständig sind für Wahrnehmung, Realitätserzeugung und politisches Entscheiden, brauchte es erst umso dringender Die vierte Macht als Gegengewicht, sprich Presse und Journalismus. Das weiß auch und gerade Dirk C. Fleck, grundsätzlich alarmierter Journalist und Öko-Romanautor, und hat daher ausgewählte Vertreter der berichtenden Zunft in seinem gleichnamigen Buch zu Wort kommen lassen – von Diekmann bis di Lorenzo, von Schirrmacher bis Unfried. Ausführlich. Freundlich. Und erschütternd, unterm Strich. Denn bis auf wenige Ausnahmen verschanzen die Kollegen sich souverän in der Höhe – hinter Sachzwängen und Pseudo-Ethos: Journalisten müssen den Markt bedienen. Und keine Meinung machen. Geschweige denn die Gesellschaft verbessern wollen.

Wir müssen uns wirklich keine Sorgen mehr machen.

Sondern lesen mit Freude die komplett investigative Entwarnung des Spectator: Why 2012 was the best year ever! (sowie wenigstens einen Teil der über 1000 Kommentare unten drunter), und hoffen auf immer eine Handbreit Schampus unterm Kiel, erst recht im Wassermannzeitalter.

Dirk C. Fleck: Die Vierte Macht Spitzenjournalisten zu ihrer Verantwortung in Krisenzeiten (Hoffmann & Campe 2012, 320 S., 22.99 €); Das Tahiti-Projekt (Piper 2010, 352 S., 8.95 €)
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Hobbypiratenversenken

Das hier, bei „Jimdo“ …

„Ich habe hier ein Projekt!! Ich will hier ebooks hochladen mehr als 20000+ stück mom habe ich ca. 500 schon drauf . welche ebooks ich hochlade: Es werden aller art  geben von Comics, Fachzeitschriften, Handbücher, Romane aller Art, Kochbücher, Bildung uns so weiter also es wird keine grenzen dabei geben also habt einbisschen geduld…. ich kann mom ca. 500 ebooks pro Tag hochladen also wird es schon einpaar tage dauern 😛 Die sind alle kostenlos!!!“

… fand meine junge Autorenkollegin F. eine „Unart“ und fragte sich und mich, ob man das nicht vielleicht, mal „melden“ sollen dürfe, nämlich den betroffenen Verlagen. Unbedingt. Haben wir gemacht, wir fiesen Petzen.

Aber durchsetzen wird die sich, die Unart, wenn auch vermutlich weniger dummdreist. Denn Autoren sind – in den heimlichen Augen der meisten Leser – ja nun weiß Gott und Käpt´n Hook nicht schützenwert; Autoren müssen – im Gegensatz zu Lesern -, nicht arbeiten gehen, sondern können den ganzen Tag zu Hause bleiben und sich ausdenken, was sie wollen. Und dafür wollen die auch noch Geld? Is ja der Gipfel!

„The odds are against us, my friend, as always. What are you gonna do, get a real job?“ (Charlie Runkel zu Hank Moody, Californication)

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2,1 Millionen auspufftote Asiaten

… so die Schlußzählung der Wissenschaft für 2010. Das ist allerdings keine allzu große Meldung, weil die 2,1 Millionen ja nicht alle am gleichen Tag gestorben sind, sondern nur im gleichen Jahr; Meldungen sind halt indische Zugunglücke oder vice versa, nicht die schwer faßbaren Großkatastrophen.

Weltweit sind´s übrigens 3,1 Millionen Nahverkehrabgasleichen, damit hat diese besondere Art des Dimensionswechsels die Top 10 der „Killerkrankheiten“ erreicht – nach rasantem Chartaufstieg, denn 2000 dümpelte Auspufftot mit 800.000 Hits noch unter ferner husteten. Geht uns aber eigentlich sowieso nix an. Ist ja in Asien. Weit weg, deren dicke Luft, und Exportversuche bleiben spätestens am EU-Südrand sowieso in den Zollschranken hängen.

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