MS, Milch, Marketing

Xolair – das klingt nach einer echten Win-Win-Formel für die Arm in Arm durch´s Leben schlendernden BigNahrungsmittel– und Big-Pharma-Industrien: denn mit Xolair (Wirkstoff: Omalizumab) lässt sich das Immunsystem prima unterdrücken, was ja bei fiesen Krankheiten (wie MS) generell gern empfohlen wird – statt den Patienten zu einer wesentlich vielversprechenderen Änderung des eigenen Lifestyle zu raten.

Zugegeben, bislang sind die Hersteller nur auf die schöne Idee gekommen, Xolair bei Lactoseintoleranz zum täglichen Spritzeneinsatz zu empfehlen, zum Preis von circa 15.000 Euro/Jahr (sowie, Extrapreis im Kleingedruckten, „erhöhtes Krebsrisiko“ und „Superinfektionen“), aber auch Big Pharma kennt ja die durch diverse Studien nachgewiesene Korrelation zwischen Milchkonsum und MS-Risiko, also wird die nächste schicke Marketing-Idee nicht lange auf sich warten lassen. Sofern man auf dem Weg noch eine schick aufgerüschte eigene Studie nachlegt, könnte man den Preis sogar noch mal gut begründet verdoppeln …

Über die Alternative (für Lactoseintolerante wie MS-Kranke) sprechen wir mal lieber nicht. Denn wer wollte schon so was Billiges hören wie: „Milchprodukte weglassen“?

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Frühlingsanfangsapokalypsefragen

1) Wer von uns, die wir die Mauer am Ende unserer atemberaubend schnellen, bunten gemeinsamen Abfahrt sehen, kriegt den Rest der Reisegesellschaft dazu, die Augen vom iPhone zu heben, die Füße rauszuschwingen und mitzubremsen? Angebote? Kandidaten?

2) Was machen wir mit all jenen (immer zahlreicher werdenden) Arbeitskräften, die „übrig“ sind? Für die unsere Arbeit nicht mehr reicht, weil wir keine mehr haben (dank unserer Maschinen)? Die stillschweigende Antwort der Neukonservativen lautet: „bis zum Ende der Geldillusion mitschleppen, dann aus sicherer Festung zusehen, wie sie sich gegenseitig umbringen“. Bessere Angebote?

3) Was passiert am 4. 4. 14? Irgendwelche Ahnungen? Irgendwelche Waffen zu verkaufen? Angebote?

(Keine Antworten auf diese Fragen enthält leider Gerda Tauberts nettes Buch Apokalypse jetzt, das besser Apokalypse light hieße. Zugegeben: Wer sich noch nie Gedanken über irgendwas gemacht hat, lernt garantiert manches aus den Selbsterfahrungsausflügen der jungen, kinderlosen Redakteurin zu Aussteigern, Wassersparern und notorischen Tauschern, nur scheint Taubert die meisten wichtigen und spannenden Aspekte der Transitions- oder Endzeitszenarien gar nicht zu sehen, kann sie also auch nicht berühren oder gar begreifbar machen. So bleibt ihre Betrachtung des Upcyclens, Tauschens, Müllsammelns und geldlosen Handelns vorwiegend romantisch – und liest sich bezaubernd als „mein schönstes Ferienerlebnis mit mildem Nervenkitzel“: insgesamt beruhigend für festangestellte Frauen oder solche, die beim Bügeln fernsehen, aber vorwiegend nutzlos hinsichtlich der im Titel avisierten Apokalypse. Gottlob sind die Regale voll mit diesbezüglich gewichtigeren Büchern, von KunstlersLong Emergency“ bis RawlesHow To Survive the End of the World as We Know it“. Und der gute Edward Heller („Prophezeiung“) gähnt, weckt weiter lächelnd Äpfel ein und schleift seine Armeemesser, sicherheitshalber.)

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The TV-Revolution will not be televised (Künstlerdämmerung #20)

In Sachen siehe immer wieder oben: Anonymus „DJ Fredericksson“ hat zur Lage der Fernsehnation (resp. ihrer verzweifelten Autoren) einen wirklich schönen, kenntnisreichen Essay hingelegt, der wahrlich keine Hoffnung macht. Aber das ganz entschieden.

Link. Und ein Link, mangels präziserer Möglichkeiten hergeleitet aus dem Blog von Dietrich Brüggeman.

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Blödmaschinen

Toller Titel. Gewählt von Georg Seeßlen und Markus Metz. Und inhaltlich richtig. Trotzdem schade. Denn zwar findet sich alle zirka 20 Seiten eine zwei- bis dreizeilige echte Sprach- und Gedankenschönheit, allerdings immer bestens getarnt in redundantem Wörterdickicht. Mit immerhin 780 eng- und kleinbedruckten Seiten sind die Blödmaschinen daher genau das Gegenteil von quintessentiell und nicht der Lektüre wert, denn Zeit ist ja nun mal alles, was wir haben.

(Nein, natürlich hab ich das nicht alles gelesen, ich bin doch nicht wahnsinnig … zumal der Hauptteil fehlt (geschätzt 1800 Seiten) nämlich die (bitte originelle) Vision. Deren Fehlen begründen die Autoren aus souveräner Elfenbeinturmhöhe abschließend durchaus charmant auf 7 Zeilen, aber so bleibt´s eben nach fast 800 Seiten beim „Na, und?“

Georg Seeßlen / Markus Metz – Blödmaschinen: Die Fabrikation der Stupidität (Suhrkamp 2011, 780 S., 25 €)

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Kommende Bestseller, global (Künstlerdämmerung #19)

Ga Ying Hao (22) erhält für seinen neuen Bestseller Child in Time von Juliette Garrett immerhin 40 Euro, also dreimal so viel wie seine unterhaltungsliteraturproduzierenden Kollegen im Industriegebiet von Nanjing. Zu verdanken hat Hao dieses Privileg seinen exzellenten Englischkenntnissen und seiner Originalität, denn er versteht es vorzüglich, automatisch generierte Manuskripte dort zu humanisieren, wo die Statistik es ihm erlaubt. Zwar sind seine „Spielflächen“ im Skript klein, seine Befugnis beschränkt auf stilistische Veränderungen in Dialogen und in Beschreibungen, aber hier lässt sich tatsächlich mit individuellem Talent der Eindruck erwecken, das gesamte geschriebene Werk stamme von einem Menschen und sei nicht computergeneriert.

Die deutsche Übersetzung von Garretts Roman überwacht Dr. Emma Winkler (37), LÜRA (Lektorin/Übersetzerin/Redakteurin) für die Verlagsgruppe Amazon. Winkler hat nicht viel zu tun, denn Amazons Übersetzungsprogramm Babel Fish arbeitet äußerst zuverlässig, der Auftrag ist mit 200 Euro deutlich über Tarif bezahlt. In guten Monaten kommt Winkler auf 1.200 Euro Bruttogehalt. Sie verträgt sich gut mit ihren Eltern, was hilfreich ist, denn zuhause ausziehen wird sie niemals können.

Beim letzten Deutschlandbesuch der schillernd charmanten Juliette Garrett (anläßlich ihrer Hauptrolle im Film (Amazon Studios) nach ihrem neuen Roman) durfte Winkler den von ihr betreuten Star treffen. Garrett gestand nach dem dritten Champagner (unter vier Augen), sie habe „Child in Time“ zwar noch nicht gelesen, sei aber sehr gespannt auf diesen ihren eigenen letzten Roman.

Und Jaron Lanier steuert in seinem neuen Buch „Who owns the future?“ nicht nur in Sachen „Zukunft des Buchs“ ein paar kluge Gedanken bei, sondern erst recht in Sachen „Informationsfreiheit“. Laniers Einschätzung, die Vernichtung des künstlerischen Mittelstandes sei verschmerzbar, kann man leider nicht widersprechen (zumal auch Lanier das bedauerlich findet) – ebensowenig allerdings der Feststellung, dass die Künstler (inklusive Journalisten) nur als erste über die Planke gehen oder bereits gegangen sind. Die Vernichtung des verbleibenden Mittelstandes steht indes unmittelbar bevor, und diese hält leider keine bürgerliche Gesellschaft aus.

Wie man das verhindern könnte? Lanier hat ein paar Anregungen. Viel Hoffnung können wir uns nicht machen, aber das ist ja immerhin besser als nichts.

(Doch, ja, entschieden – diese und erst recht Laniers Anmerkungen stehen sehr im Zusammenhang mit Zuckerbergs irrsinnig kluger Milliarden-Entscheidung, Instagramm und nun WhatsApp zu kaufen (60 Mitarbeiter) statt zum gleichen Preis sämtliche deutschen Privatfernsehsender.)

Jaron Lanier – Wem gehört die Zukunft? (dt. von Dagmar Mallett und Heike Schlatterer), Hoffmann & Campe 2/2014, 480 S., 24.99 €

Jaron Lanier – Who Owns the Future? (Simon & Schuster 5/2013), 416 S., 11.80 €

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About Time

Wäre About Time eine Frau, man müsste ihr sofort einen Antrag machen, kniend: einer bezaubernden, geistreichen Schönheit. Der deutsche Titel Alles eine Frage der Zeit ist passend und trifft´s schön, es fehlt lediglich der dem Original inne wohnende Doppelsinn „Über (die) Zeit / Höchste Zeit“, aber alles andere wird tadellos verstanden, vermutlich weltweit: denn About Time ist höchstens in zweiter Linie eine „Zeitreise-Story“, in erster Linie ist Autor/Regisseur Richard Curtis´ jüngster Film eine intelligente, wunderbar geplottene und getextete Komödie um die großen und wichtigen Dinge: die Liebe in all ihren bunten Formen, die Endlichkeit und unsere kostbare Zeit, das Einzige, was wir haben.

Ich gestehe, dass ich jeden Tag Filme sehe. Ich gestehe, dass ich nicht mehr weiß, wann ich zuletzt so erfreut war über einen Film.

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Künstlerdämmerung (#18)

Skandalös: von den zirka 9 Milliarden Euro jährlich erhobenen Funk- und Fernsehsteuern kommen 38% bei den Programmmachern an – das wird sich ändern, das ist eindeutig zu viel. Die „73 nicht benötigten Cent pro Zahlerkopf und -monat“, gelegentlich schon an dieser Stelle zerlegt, werden jedenfalls garantiert nicht dem künstlerischen und handwerkenden Medienprekariat zugutekommen, sondern dem hart fernsehenden Volk. Die verbleibenden 62% gehen weiterhin in die Verwaltung, Tendenz: dringend steigerungsfähig.

Ilja Braun hat an der dazugehörigen Podiumsveranstaltung der Deutschen Akademie für Film und Fernsehen lesenswert teilgenommen, seinem Fazit ist nichts hinzufügen.

„Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht ohne massive Selbstausbeutung der Kreativen offenbar gar nichts mehr. Die Schuld dafür schieben die Sender auf die Produzenten. Die „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs“ ist für eine Überprüfung der Kostenstrukturen nicht zuständig, da sie ja kein Rechnungshof ist, und im Übrigen nur nebenbei arbeitet. Die Politik muss Rücksicht auf die Belange der Bürgerinnen und Bürger nehmen und darf schon verfassungsrechtlich nicht in die Redaktionen hineinreden. Schuld ist also niemand, und ändern kann auch niemand etwas.

Die gute Nachricht: Bald bekommen alle 73 Cent im Monat zurück.“

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