Zu Salm und Samsara

Christiane zu Salms „Dieser Mensch war ich – Nachrufe auf das eigene Leben“ (Goldmann) funktioniert ganz wunderbar, und das auf verblüffende Weise. Das Buch der früheren höchst erfolgreichen Medienmanagerin und heutigen freiwilligen Sterbebegleiterin dient wohl durchaus als „Geschenk an alle, die leben“ (so Herrn Schirrmachers Shout auf der Klappe), und vermutlich wird tatsächlich mancher, der´s liest, „sein Leben noch einmal überdenken“ (Frau Furtwängler, ebd.). Überdenken wohl allerdings primär, weil die hier versammelten, jeweils 2-3 Seiten kurzen letzten „Eigen-Nachrufe“ zahlreicher ganz gewöhnlicher Sterbender überwiegend so herzzerreißend uninspiriert sind. Zu Salm lässt dieses gewaltige Nichts unkommentiert stehen, bleibt also vollständig neutral – und äußert schweigend mehr, als sie mit jedem Kommentar hätte sagen können. Das reine Plätschern der ganz ohne Sinn Vergehenden untermalt nämlich mit zunehmend hohlem Klang die von zu Salm in der Einleitung geäußerte quintessentielle Überzeugung, man müsse sein Leben beizeiten (also: jetzt) aus der Nachruf-Perspektive gestalten, immer mit Welzers Frage im Sinn „Wer möchtest du gewesen sein?“

Diese entscheidende Frage haben sich indes wohl höchstens eine Handvoll der geschilderten Abgelebten je gestellt, entsprechend banal sind die Leben der anderen geraten, entsprechend banal (gelegentlich grotesk) deren letzte Anmerkungen, Fragen und Vorwürfe. Und genau hierin liegt tatsächlich die perfide Stärke des Buches, denn letzte Bemerkungen wie die hier dokumentierten möchte man nun wahrlich ums Verrecken (sic) nicht zuletzt zu Protokoll geben.

Sicher, es gibt Ausnahmen. Wohltuende. Letzte Worte von Menschen, die schon zu Lebzeiten Wege gesucht und gefunden haben, ihrer Existenz einen geeigneten tieferen Sinn zu verleihen. Das sind dann die zarten Leuchttürme, gegen Sammlungsende zahlreicher werdend, in dieser überaus intelligenten Schrift, die ebenso gut (aber weniger gut verkäuflich) unter dem uralten Motto stehen könnte: „Niemand ist nutzlos – er kann immerhin als schlechtes Beispiel dienen.“

Davon hat´s hier Unmengen, und im vollendet höflichen Zurücktreten gelingt Christiane zu Salm mit diesem „Format“ ein wahrhaft großer Wurf, der garantiert das eine oder andere bis heute ungelebte Leben in ein gelebtes verwandelt. Rückblickend, später, von heute aus gedacht, selbstredend.

(Dem Strom der Worte, zwischen denen die Botschaft schimmernd aufsteigt, lasse man (am besten mit 1, 2 Tagen Abstand) Ron Frickes Bilderstrom Samsara folgen – ein wahrlich gewaltiges und wortloses Werk über die Schönheit, vor allem aber die Vergänglichkeit allen Seins. Im Zusammenspiel mit siehe oben sollten sich anschließend glasklar neue Wege und angemessene gut gelaunte Demut umgehend einstellen.)

Christiane zu SalmDieser Mensch war ich – Nachrufe auf das eigene Leben (Goldmann, Oktober 2013, 256 S., 17.99 €)
Ron FrickeSamsara (2011/13) (Blu Ray/DVD, ca. 14-17 €)
Dieser Beitrag wurde unter Film, Sachbuch abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert