Kleinkrieg, live

Dieser 4-Stunden-Krieg der USA wird wieder 600 Millionen Tote fordern und ginge damit in die Geschichtsbücher ein – wenn Hühner welche schreiben könnten. Tun sie aber nicht, sondern werden gegessen, eben: 600millionenfach an diesem Super Bowl Sunday, dem wichtigsten Sporttag des Jahres. Zirka eine Milliarde Menschen weltweit wird dem Event via TV beiwohnen, darunter etwa die halbe Bevölkerung der USA, und selbstredend ist auch das Drumherum wieder superlativ. Das Schalten jedes einzelnen der unzähligen 30-Sekunden-Werbespots kostet 3,5 Millionen Dollar, Tickets gab es (oder eben auch nicht) ab 2.000 Dollar, das Publikum sorgt beim Zuschauen unter anderem für den halben Jahresumsatz der US-Pizzaindustrie und speist nebenher 100 Millionen Kilo Knabberkram (für etwa eine Milliarde Dollar), 50 Millionen Bierkisten werden geleert (so die Bierbrauer selbst, obwohl … da müsste am Sonntag schon jeder Ami im trinkfähigen Alter 7 Biere trinken, also einigen wir uns doch besser auf 50 Millionen Dosen …?)

Der Superbowl ist aber nicht nur Sport, Werbung und Konsum, sondern The World in a Nutshell – komprimierte Darbietung dessen, was das Empire im Kern zusammenhält. Exakt mit dem letzten Ton der live vorgetragenen nationalen Hymne wird wieder ein Überflug von Air-Force-Bombern über das Volk im Stadion erfolgen, das noch mit der Rechten auf dem Herzen erhoben steht. Es folgt der Aufmarsch der Truppen, angeführt von weißen Ivy-League-Kommandanten (die hier Quarterbacks heißen) und ihre ethnisch bunt gemischten Soldaten geschickt durch die gegnerischen Reihen stoßen lassen, koordiniert bei ihrem hin- und herwogenden Angriffs- oder Verteidigungsstellungskrieg von vielköpfigen Kommandoständen an den Seitenlinien und hinter Panzerglas über dem Feld. Generäle mit Basecaps und Strategiekarten, beobachtet von lippenlesenden Spionen und Dechiffrierern der Gegenseite vor den Bildschirmen …

Nein, American Football hat so ganz und gar nichts mit Fußball zu tun. Unser Fußball ist Durcheinander. Pausenloses Durcheinander. Krieg in kurzen Hosen? Mag sein, aber wenn, dann mittelalterlicher Krieg, bestenfalls. Stammesfehde. Hauen und Stechen. Eine kreative Kneipenschlägerei. American Football hingegen ist koordinierter Raumgewinn. Stellungskrieg. Kein Kinderspiel.

Unterbrochen, wie es sich gehört, von Sponsorenhinweisen, denn das Empire lebt nicht vom Krieg allein. Die reine Kriegs- resp. Spielzeit beträgt nur eine Stunde, der Rest der 4-Stunden-Veranstaltung besteht aus Werbeunterbrechungen. Sowie einer Halbzeitshow, in der eine der herausragenden Unterhaltungsgrößen ihrer Zeit die Truppenmoral singend hebt. Damals Marilyn. Diesmal Madonna.

Dass American Football in Europa kein Publikum findet, versteht sich von selbst. Wir ticken völlig anders. Wir mögen ja auch keine chinesischen Opern. Und eben keinen Krieg, nicht mal Ersatzkrieg in gepanzerten Rüstungen, mit unrunden Bällen statt Eiergranaten. Dennoch: nichts vermittelt einem den faszinierenden Spirit der weltbeherrschenden Kultur und Nation besser als diese vier Stunden. (In den ganzen Genuss kommt allerdings nur, wer sich bei NFL.com artig anmeldet und für die Original-Werbeunterbrechungen bezahlt. Alle anderen müssen (bei Sat.1) deutsche Werbung kucken. Sowie eventuell später, ab 2 Uhr morgens, Funny Dubbing, sofern die Bänder wieder aufgetaucht sind …)

Wie? Ich? Kriegsfreund? Ich doch nicht! Kulturwissenschaftler, bestenfalls! Sowie stinksauer, dass Kyle Williams uns mit seinen gleich zwei völlig debilen Punt-Return-Fumbles gegen die Giants quasi im Alleingang aus dem Finale geschusselt hat, der Klappspaten. So bleibt also der wichtigste Preis der Welt mal wieder an der Ostküste, und wir müssen auf die Rückkehr der goldenen Zeit weiter warten. Bis Anfang 2013. Aber das dürfte sich ja mit den Vorhersagen der Maya decken – oder stand da etwa nicht drin, dass die 49ers nach der Zeitenwende zum zweiten Mal das „Team of the Decade“ werden?

Wie jetzt, das macht die Hühner jetzt auch nicht wieder lebendig? Was ist denn das für ne Bemerkung? Ich nehm doch nur 1 Bier und Chips und n bisschen Guacamole, das wirf ja wohl erlaubt sein beim Kulturstudium! (Okay, einen Burger?)

NFL Superbowl (New England Patriots vs. New York Giants), in der Nacht von Sonntag auf Montag ab 00.30 Uhr live in Sat.1.
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Medien, Politik abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert