Lappen und Blauspray

Ach, herrlich. Das muss ich doch jetzt rasch weitergeben, wohin auch immer, denn die Notaufnahmeschwester, frisch preisgekürt. hatte ich bis heute nicht auf dem Schirm. Dank der Krautreporter, die Schwesters schönen Text „Ihr Lappen!“ heute reproduzierten, habe ich also ab jetzt noch mehr Spaß an unserem Krankensystem (und, ja, ich komme nicht zum bloggen, weil ich bis über beide Ohren in diesem Buch stecke, das zum Jahresende erscheint, und, nein, „Schreiben kann doch jeder, lernt man ja in der Schule“ stimmt so nicht ganz, das ist Arbeit).

Die Notaufnahmeschwester macht aber nicht nur sehr viel Spaß, sie erklärt mir nun zwischen den Zeilen auch, wieso wir Deutschen eigentlich Arztbesuchsweltmeister sind (mit durchschnittlich! 18! Besuchen pro Jahr), denn es sind beileibe nicht nur die alten und gelangweilten Kassenverwöhnten, die wegen jedem Scheiß zum Arzt laufen und Antibiotika gegen Schnupfen fordern. Die Jungen sind ja offenkundig noch wesentlich verwackelter.

Ich nehme den Hinweis dankbar entgegen. Und wundere mich höchstens am Rande, dass er mich binnen zwei Tagen doppelt erreicht, von Leuten, die ich weder gerufen noch gefragt habe. Bestimmt ist das nur selektive Wahrnehmung meinerseits, aber heute ist´s die Schwester – nachdem gerade gestern mir der hiesige Schornsteinfeger (!) einen halbstündigen sehr interessanten Vortrag hielt über Ärzte, Antidepressiva, Krebs und Chemo, Verstand, Selbstheilungskräfte und die inzwischen ganz generelle Verpeilung der hiesigen Menschen – ich weiß also jetzt, dass der Gegenpol zu Schwesters „Lappen“ die Omma des Schornsteinfegers war, die auch kleinere Malaisen wie Enkels schwere Kopfwunden (Tischlerhammer reinbekommen) generell behandelte mit ordentlich Blauspray (Jod für Fortgeschrittene, fragen Sie Ihren Ironman oder Veterinär), einem gefalteten Küchentuch, Eis und „Mütze drauf“. Blöd nur, dass der Enkel danach bolzen ging, denn nach dem ersten Kopfballtorpedo musste er dann doch kurz zum Arzt.

Die „Lappen“ kennt aber auch der schwarzhumorige Glückbringer aus dem Alltag. Denn er begegnet an Haustüren zunehmend Kindern, die sagen „Ich darf Sie nicht reinlassen, Mama ist nicht da“. Was natürlich sehr vernünftig ist, wenn das Kind jünger ist als 10 Jahre. Die Kinder, die meinem Schornsteinfeger die Tür nicht aufmachen, sind allerdings zwischen 30 und Mitte 40, meist männlich (nicht falsch verstehen, bitte) und können sich augenscheinlich weder allein anziehen noch allein zur Sparkasse.

Fragt sich nur, wer sich um die kümmert, wenn Mutti das Zeitliche segnet. Alle in die Notaufnahme? Für immer? Da wird sich die Schwester aber freuen.

 

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