Nichts ist gefährlicher als Intelligenz ohne Moral – und Wolfgang Ullrich ist durchaus intelligent. Seine Anmerkungen zu Philipp Ruchs „Wenn nicht wir, wer dann?“ habe ich allerdings nur gelesen, weil ich Ruch gelegentlich als kritisch zu prüfenden Beitrag zur Frage „Was wollen wir wollen?“ empfehle und darauf letzte Woche hörte, DIE ZEIT (Ehrfurcht, mitschwingend) sei da aber entschieden anderer Meinung und Ruch „ein eitler Nazi, und seine Leser alle auch“. So gerät man also schon mittels Empfehlung eines lesenswerten Aufrufs zu mehr zukünftiger Menschlichkeit in ein braunes Hemd, da muss man dann sogar mal in die öde ZEIT schauen, die Lieblingspostille der Erbengemeinschaft und höheren Beamten. Dort schreibt: Wolfgang Ullrich.
Geschickt. Denn „noch“ steht Ruch ja gut da. Noch! Aber jetzt hat er sich entlarvt, der angeblich nur „aggressive Humanist“, denn das jetzt lässt sich nachlesen, auf welchem „geistesgeschichtlichen Fundament“ die Aktionen seines Zentrums für politische Schönheit stehen. Links jedenfalls nicht, das ZPS fängt sich gleich mal das Etikett „Sturmtruppe“, die die gesamte Moderne „rückabwickeln“ will. Oha. Dummerweise fällt Ullrich nicht so recht ein, was grundverkehrt sein sollte an Ruchs Ziel, den Menschen wieder etwas unerklärlicher, sprich: selbstbedeutender zu machen. Wüsste Ullrich irgendwas von der Moderne (oder hätte er wenigstens Lanier gelesen), müsste er spätestens hier einräumen, dass diese Rückbesinnung eben nicht „antimodern“ ist – und eine faire Kehrtwende hinlegen. Tut er aber nicht, denn sein Ziel ist nicht Aufklärung, sondern Diskreditierung. Und die funktioniert nach dem demagogischen Lehrbuch eben weiterhin wie eh und je – indem man dem Vortragenden schwere charakterliche Defizite attestiert und ihn hernach sicherheitshalber auch noch zum Nazi macht.
Ullrich kann das. Und scheut sich nicht, seine gelernten Kunstgriffe anzuwenden. Er attestiert Ruch schick redundant die Todsünde Eitelkeit – in Verbindung mit Gekränktheit: „Größensucht“, „unersättlichen Geltungsdrang“,„lässt in seinem Manifest keinen Zweifel, dass er sich selbst für einen solchen ganz Großen hält“ und das „Verlangen nach eigener historischer Bedeutung“, das obendrein, „nur die Kehrseite der Kränkung (ist), die Ruch allseits empfindet“. Stark. Ullrich scheut sich aber abschließend auch nicht, selbst Ruchs einfachste Sätze in ihr Gegenteil zu verkehren, denn es „wird aber auch klar, dass seine Gedanken mehr um seinen Nachruhm als um das Schicksal von Flüchtlingen kreisen.“ (Cool, dieses Gegensatzpaar! Hier! Hamma, Herr Ullrich!) Und: „Die „wirklich wichtigen Fragen“ lauten für ihn, so ehrlich ist er immerhin“ (Hahaha! Immerhin! Hier. Sonst nicht!) „Wofür will ich einmal stehen? Welches ist die größte Tat, mit der mein Name einst verbunden werden soll?“.“
Na! So ein eitler Sack, der Ruch! Aber da fehlt was, nämlich ein bisschen faire Anführung. Denn dies sind die Fragen, die nicht nur Ruch sich selbst stellt, sondern die er jedem empfiehlt – als Fragen an sich selbst. Womit er lediglich etwas verdammt Vernünftiges empfiehlt und sich in bester Gesellschaft mit Harald Welzer befindet und dessen Jetzt-und-Hier-mit-Zukunftsblick-Ergänzungsfrage für jedermann und frau: „Wer will ich gewesen sein“?
Mei. Jeder Badeschwamm versteht, was Ruch und Welzer meinen. Ullrich versteht es auch. Er will es nur nicht lesen. Drum verkehrt er es zum Beleg für Ruchs gekränkten Geltungsdrang. So fehlt denn nur noch eins, und Ullrich lässt auch das nicht aus: „altmodisch“ sei Ruch in Bildern und Vokabular, seine Metaphern „martialisch“, und als Beleg soll dienen (in einem Buch, das nicht versehentlich die Ideale der alten Griechen und der europäischen Aufklärung lobt): „So wundert man sich doch über Wörter wie Völker oder Abendland“ (aufpassen, jetzt): „zumal Letzteres offenbar nicht in Abgrenzung zu Pegida reklamiert wird.“ Ah! Bäm! Nazi? Richtig? Herr Ullrich? Gefährlicher, eitler, gekränkter Nazi, komm, rück das Buch auch noch in die Nähe von „Mein Kampf“, assoziativ. Geht?
Geht, abschließend: „Das Manifest von einem, der mit aller Gewalt in die Geschichte eingehen will.“
Wow. Wer Ruch gelesen hat, weiß, aus welcher Richtung Ullrich hier Bolzen schießt. Wer Ruch gelesen hat, widerspricht. Aber, keine Sorge, unter Zeit-Lesern weiß Ullrich sich auf sicherem Terrain, wie die Mehrzahl der Kommentare zeigt, die im hübschen Chor singen: „Ich schließe mich deinem Urteil an, Zeit, das ist wirklich ein ganz besonders schlechtes Buch! Bin ich froh, dass ich es nicht gelesen habe!“
Empfehlung? Selberlesen. Aber nicht Die ZEIT.
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