Großstörung im Kopf des Feuilleton

Amitav Ghosh, indischer Feingeist und Literat, fragt sich und uns, die wir den existenzbedrohenden Klimawandel kaum oder gar nicht zur Kenntnis nehmen, „are we deranged?“ und wählt hier das perfekte Wort, denn deranged ist „gestört“ – und besser als „bescheuert“. Natürlich ginge auch „sind wir irre?“, aber „deranged“ ist durcheinander, nicht mehr arrangiert, eben: gestört. Und das umfasst ja auch die Unfähigkeit, klar und kontrolliert zu denken und zu handeln. Betreffend den Klimawandel, lautet die Antwort also entschieden „Ja“. Nun unternimmt aber Ghosh den Versuch, herauszufinden, weshalb gerade unsere Literaten und das Feuilleton so wenig mit dem Klimawandel anzufangen wissen und kommt dabei zum richtigen Schluss, Feuilleton, Hochliteratur und „anerkannte“ Intellektuelle seien Vasallen und Hofnarren der imperialen Powers to be. Dummerweise aber lebt Ghosh in der Filterblase, die er beschreibt, sprich: ist literarisch zensiert und beschränkt, mit seinen exemplarischen Dystopie-Eckpunkten Atwood, McEwan und McCarthy. Von Philip K. Dick weiß er nichts, von Crichton auch nicht, und von kontinental-lokalen Phänomenen wie Schätzing natürlich erst recht nichts. Ach, Ghosh weiß schlicht nichts von all dem, nichts von Dystopie, nichts von „SciFi“, daher gerät seine Analyse zwangsläufig ein bisschen peinlich, denn das „Gestörte“ liegt sicher nicht darin begründet, dass es an intellektuellen Literaten mangelt, es liegt nur daran, dass Intellektuelle wie Ghosh und seine Feuilletonblase diese Literaten nicht kennen. Geschweige denn diese Autoren loben. Denn die schreiben ja keine Literatur. Sagt das Feuilleton. Kreis geschlossen, Affe tot.

Sieht man von diesem Riesenproblem ab, ist Ghoshs Buch natürlich hübsch. Er kennt seinen Flaubert. Erzählt viele Anekdoten und fragt sich selbst immer wieder, wieso es ihm so schwer fällt, Klima in seine Romane einzubauen. Das Feuilleton wird sein Buch lieben. Es ist fast vollkommen ungefährlich.

Dennoch: Ghoshs Vermutung, die intellektuellen Autoren machten per se den Fehler, das Klima links liegen zu lassen, ist grundfalsch. Die Liste derer, die sich äußern, ist lang, schon im kleinen Deutschland reicht sie von Dirk C. Fleck (jüngster schöner Beitrag hier, im Rubikon,wirklich sehr lesenswert, wenn auch traurig) bis Kegel bis höchst populär Schätzing bis yours truly, und an Dystopien mangelt es eh ohnehin nicht, auch nicht an solchen aus der Anglo-Shpere, die unsere Klima-Störung wenigstens als Mitursache für den kommenden Untergang auf dem Zettel haben. Nur: Das intellektuelle Feuilleton (festangestellt) will von all dem nichts wissen, Zukunft ist „Science Fiction“, also per se „bäh“, das Feuilleton hat traditionell Bedeutenderes zu umkreisen als Relevantes, nämlich seinen Nabel. Und da passt die Welt nicht rein. Soll sich doch das Ressort Wissenschaft drum kümmern, um solche Sci Fi. Oder die Politik. Das Problem ist nur: diese Ressorts beschäftigen sich nicht mit Romanen. Soll sich das Feuilleton drum kümmern. Case closed. Schade.

Denn es ginge ja. Eigentlich. Wenn das Feuilleton nicht komplett verpeilt wäre und obendrein die „Alternativlos“-Agenda seiner Geldgeber gefressen hätte. Dass es auch anders geht, zeigt mir ganz persönlich (sehr zu meiner Freude) eine noch unbestochene angehende Intellektuelle namens Misty Matthews-Roper, die in ihrer Diplomarbeit unter dem Titel Responding to Ethical Dilemmas in the Anthropocene: Sven Böttcher’s Prophezeiung das systemische Problem verstanden hat (und obendrein die Verbindungen sich hieraus ergebenden Frageapparates mit Camus´ Vorstellungen von Revolte, Freiheit und Leidenschaft. Dem Feuilleton haben die von mir geworfenen diversen Zaunpfähle im Buch offenbar nicht gereicht, aber, wie mein ehemaliger Philosophielehrer so treffend markierte: „Kleine Gehirne sind eben sehr schwer zu treffen.“

Könnten wir also vielleicht doch auf die Wissenschaftsresorts ausweichen, wenn es um den Transport überlebenswichtiger Frage in Richtung Mainstream geht? Wohl kaum. Denn überlässt man die Bewertung von Literatur Klima-Experten, erweist sich als fatal, dass, wer einen Hammer hat, überall nur Nägel sieht. Und sonst nichts. Herausragend finde ich diesbezüglich wegen persönlicher Betroffenheit das Nachwort des ZEIT-Wissenschaftlers (Namen hab ich glatt vergessen) zur Ausgabe von Prophezeiung in der ZEIT-Hardcover-Edition Wissenschaftskrimis – der sich allen Ernstes kritisch darüber ausmährt, dass die von mir angeblich behauptete (Nein! Falsch!) präzise Wetterprognose über längere Zeiträume nicht möglich ist. (Das weiß ich! Darum geht´s nicht! Es geht um Hybris. Und daran, ob wir unseren Rechnern nicht zu viel Vertrauen schenken! Oder zeitnah schenken werden! Mann!)

Gut. Natürlich räume ich ein, dass ich am „Misserfolg“ (na ja) der Prophezeiung auch selber schuld bin, und zwar gleich dreifach. Denn wenn man schon weiß, wie das Feuilleton tickt, darf man natürlich nicht Thriller draufschreiben, selbst wenn der Stoff total spannend dargeboten wird, sondern wählt gefälligst Roman. (Kiwi, ich hab dir das hundertmal gesagt!). Zweitens aber ist man gefälligst auch nicht originell und wählt eben nicht eine Protagonistin, also eine Frau, denn Thriller lesen nur Männer, und die wollen Bruce Willis. Und wenn man dann auch noch fair ist als Autor und die eigene Heldin so anlegt, dass sie eben nicht von Anfang an perfekt ist, sondern in so fern unperfekt, als sie das Dilemma der Hybris nicht nur extern erfährt, sondern auch innerlich, ja, dann ist der Ofen natürlich endgültig aus. Denn so was! Will die weibliche Leserschaft nun wirklich nicht lesen. Eine Frau, die lernen muss? (Schaudern vom Band; das ist ja üble Fantasy!).Die verbleibenden schlechten Amazon-Rezessionen (sic, ich liebe dieses von den KritikerInnen so gern gewählte Fehlwort) begründeten ihre Ablehnung ja dann vorwiegend mit „zu viele Fremdwörter“ bzw. „Zu viel Wissenschaft“.

Ich find´s trotzdem schön, von wenigstens zwei Leuten sogar öffentlich verstanden zu werden. Danke also, Miss Roper. Und Danke, Florian Felix Weyh.

Grundsätzlich aber und eben nicht nur die Prophezeiung betreffend, scheint mir das Problem doch deutlich größer zu sein als Ghosh mit seinem „deranged“ vermutet – denn bei jeder „Verwirrung“ besteht ja zumindest eine Resthoffnung, dass der Patient sich wieder entwirrt und das Geradeausdenken neu erlernt. Unser „Derangement“ aber geht in so fern weiter und tiefer, weil wir nach meinem Empfinden sehr wohl wissen, dass wir uns selbst umbringen, allerdings nicht wirr oder versehentlich handeln, wie wir handeln, sondern durchaus folgerichtig – also alles andere als „wirr“.

Denn im Kern geht (oder ginge) es doch um die Erkenntnis, dass wir kollektiv gegen die Wand fahren und das nicht ändern können, weil wir keine Bremse in unser seit mehr als einem Jahrhundert so rasant und schillernd dahinrasendes Gefährt eingebaut haben, in den sogenannten Kapitalismus. Ulrike Hermann konstatierte ja ganz zurecht: „Der Bremsweg des Kapitalismus ist nicht erforscht“ – und so bleiben wir eben lieber sitzen, als versuchsweise einen Anker auf den Asphalt zu werfen oder während der Fahrt die Hinterräder abzubauen. So was ist nämlich gefährlich. Zwar nicht annährend so gefährlich wie die Weiterfahrt, die unweigerlich tödlich enden wird, aber trotzdem: gefährlich. Also gilt: Lieber nichts ändern. Parole: Wird schon gutgehen. (Spoiler gefällig? Nö, wird´s nicht.)

So machen wir also, wie (historisch) alle kollabierenden Imperien, „mehr vom Problem, um das Problem zu lösen“, sprich eingebaute Obsoleszenz, Schrottprämien, eAutos und Solardächer. Was das Problem vergrößert, nicht kleiner macht, bei endlichen Ressourcen, aber wenn die Ressourcen nicht reichen, dann folgen wir halt Googles Schmidt und Teslas Musk und … erschließen den Mond! Und machen auch dort alles kaputt.

Ändern werden wir so nichts an unserem Untergang. Mehr Effizienz, gar „endlose, kostenlose Energie aus der Sonne“ würde alles nur noch schlimmer machen, „Grüne“ Ideen sind, wie wir längst wissen, reine Lügen (auf dem gleichen Wachstumshaufen gesprossen wie alle anderen neoliberalen Ideen).

Aber unsere Weigerung, uns angemessen zu verhalten, hat tiefere Wurzeln. Wir müssten uns eben ganz anders verhalten. Unsere gesamte Gesellschaft, unser Wirtschaftsmodell, unser Denken korrigieren. Um zu überleben.

Das einzusehen, fällt allerdings schwer. Und wer´s nicht einsieht, kommt eben nicht mal in die Nähe von Handeln. So bleibt also stehen: „Lieber tot als klug“, denn klug ist anstrengend. Tot nicht.

(Aber, mit englischem Tippfehler: Ghosh! An den belletristisch-intellektuellen Autoren liegt’s, wenn überhaupt, zuletzt …)

P.S.: Ich sehe gerade, dass Blessing die deutsche Ausgabe „Die große Verblendung“ nennt. Das finde ich natürlich grundfalsch. Aber inhaltlich wird´s nicht viel ändern am schöngeistigen Text.

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