Gold wert: offene Worte in Sachen MS

Der hübsche kleine 3Sat-Beitrag „Im Nu für krank erklärt“ ist eigentlich ein schöner Sprengsatz, findet aber selbstredend nur in der fernen Nano-Nische statt. Immerhin: Die Autoren gestatten Professor Dr. Ralf  Gold, einem der Hauptverantwortlichen für jene jüngst immer wieder mal veränderten neurologischen Leitlinien, die MS zu einer so überaus populären Krankheit für die Pharmaindustrie machen, sich entwaffnend ehrlich zu äußern:

„Klar hab ich schon mal Geld von der Industrie genommen, aber immer gegen adäquate Gegenleistung“.

Gold, seit den „neunziger Jahren“ (eigene Aussage im Beitrag) mit finanziellen Interessenskonflikten gesegnet (aktuelle Liste) ist gleichzeitig Koordinator der neurologischen MS-Leitliniengruppe, Mitglied im ärztlichen Beirat der Patientenvereinigung DMSG und war Leiter jener Studie, die uns jüngst das neue Blockbuster-Wundermittel Tecfidera bescherte – ein umdosiertes und zum zigfachen des früheren Preises umetikettiertes Ex-Schuppeflechtemittel, siehe hier). Und Tausendsassa Gold gibt nun in Sachen der versuchten Neubesetzung seiner Leitlinienkommission mit wenigstens 50% unabhängigen Medizinern zu Protokoll:

„Ein Koordinator oder eine Koordinatorin, der keine Konflikte hat, kann das im Allgemeinen auch fachlich nicht ausreichend souverän überblicken.“

Anders gesagt: Wer in Sachen MS-Diagnose und –Behandlung überhaupt ernstgenommen werden und mitreden will, muss auf der Payroll von Big Pharma stehen. Allen Unabhängigen spricht Gold ja a priori die Qualifikation ab, so dürfen, eben, auf Augenhöhe nur Neurologen an der Leitlinie mitarbeiten, die von den Gewinnen der Pharmaindustrie selbst profitieren.

Das ist natürlich nichts Neues. Neu ist (jedenfalls für mich) nur die lobenswerte Chuzpe, mit der Gold dieses „Geschäftsmodell“ öffentlich kommuniziert – im offenkundig sicheren Gefühl, dass Kranke, Kassen und der Rest der Bevölkerung diesbezüglich eh nichts mehr zu melden haben. Womit er vermutlich sogar recht hat.

Vorübergehend hilft allen Neudiagnostizierten also nur noch: Bloß nicht die Nerven verlieren. Spätestens 2018 wird aber auch das nicht mehr funktionieren, denn spätestens dann schnappt die Falle komplett zu. Denn es fehlt ja nur noch eine winzige Gesetzesänderung: Wer danach den Leitlinienempfehlungen nicht folgt – verliert seinen Versicherungsschutz.

In Berlin arbeiten mehr Pharma-Lobbyisten als Abgeordnete. Das sollte doch eigentlich reichen, um das Geschäftsmodell endgültig wasserdicht zu gestalten.

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7 Antworten zu Gold wert: offene Worte in Sachen MS

  1. Chris sagt:

    Unfassbar! Was meinst Du mit 2018?
    Chris

    • Sven Böttcher sagt:

      Ich neige zu Hochrechnungen und Prognosen – 2018 dürfte aber hinhauen, auch Lobbyisten können ja nicht hexen. Exemplarisch hatte ich das aber gelegentlich geschildert, im Nachsatz zum Eintrag „Feldenkrais“ (auf der lsms.info, also hier. Runterscrollen bis zum P.S. …)

  2. Hilde sagt:

    Dazu passt dies: http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/imi-forschung-geht-an-den-who-zielen-vorbei-a-1021708.html, dazu vor allem Fakt 5: Patienten werden zu Lobbyisten der Industrie.
    Hilde, Basistherapie-Abstinezler

  3. Joe sagt:

    Hallo Sven,
    wenn ich Dich richtig verstanden habe, würde ich 2018 meinen Versicherungsschutz verlieren, weil ich nicht dem Leitlinienempfehlungen folge.
    Mir wurde 2007 MS diagnostitziert mittlerweile weis ich das ich seit 1993 diese
    Krankheit vermutlich habe. Ich gehe mit MS ähnlich um, wie Du in „MS für Anfänger“ beschrieben hast. Ich habe es auch nicht vor zu ändern, da ich seit 2007 keinen
    Schub mehr hatte.
    Ich bin kein Versuchskaninchen!!

    • Sven Böttcher sagt:

      … ob das alles schon 2018 hinhaut, weiß ich natürlich nicht, aber es ist kein allzu großer Lobby-Schritt von der angedachten Zwangsimpfung zur Zwangsbehandlung auch bei MS. Dass die Leitlinienempfehlungen auf extrem wackligen Füßen stehen, wird dann keinen mehr interessieren, denn für den naiven (nicht betroffenen) Betrachter sieht´s ja – fälschlich – so aus, als hätten alle „Chemieverweigerer“ einen an der Waffel und verhielten sich unverantwortlich. Schließlich sind alle Neurologen ausweislich ihrer Leitlinien sicher, dass es keine Alternative zu den teuren Spritzen gibt. Wir 2 wissen das besser, und viele anderen MS-Kranke auch, aber ich wüsste nicht, wo wir oder die gehört werden.
      Immerhin: Zwingen wird uns ja auch nach der Neuregelung keiner können … und vielleicht kommen wir ja auch ohne Versicherungsschutz ganz gut klar (denn unsere Genesungsaufwendungen in Sachen MS zahlt ja schon heute keine Kasse, also: bleiben wir doch entspannt.)

  4. Joe sagt:

    …wenn das so kommt wie Du geschrieben hast, wäre der nächste Schritt ärztliche Euthanasie. Gruselig sich das so vorzustellen.
    Entspannt bleiben? Ja, es bleibt momentan uns nichts anderes übrig.
    Never give up.
    Denn ein Leben haben auch Schwerkranke noch vor sich. Und da geht ihnen nicht anders wie denen, die gesund sind. Wir alle haben die Aufgabe unser Leben zu Leben,
    jeden Morgen neu.

  5. Ines sagt:

    Hallo ihr Lieben,
    bin gerade über einen Beitrag gestolpert, den ich euch nicht vorenthalten möchte.
    Ich hoffe, daß ich jetzt nix doppelt poste und ihr das alles schon wißt. 🙂

    Ines, die sich auch mehr oder weniger ohne Medis duchschlägt.

    Im Nu für krank erklärt
    http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=49596

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