Tücken des Hoffnungstragens (Quintessenzen #2)

„Logisch! Du hast doch ne Mission“, wie meine Freundin A. unlängst knattertrocken konstatierte, als ich sie und mich fragte, ob ich das denn wirklich müsse, so: rausehen, zugfahren, fliegen, öffentlich sein. Logisch. Stimmt ja auch. Die wunderbaren Briefe und Mails, die ich in letzter Zeit erhalte, machen mich froh und dankbar, offenbar stehen in den Quintessenzen tatsächlich eine Menge Worte, die Hoffnung machen. Mein Anteil daran ist gering, ich hab ja nur aufgeschrieben und verdichtet, was wir Unterblichen (= wir alle) sowieso wissen (und nur vergessen haben/hatten, temporär); dass ich Menschen an dieses wesentliche Wissen erinnern kann, ist ein Geschenk. Vor allem für mich, denn ich bin gern nützlich.

Leider geht bei der Verdichtung der Berichterstatter fast alles Wesentliche unter, aus gut nachvollziehbaren Gründen: Ich betrachte es als Wunder und kosmisch begünstigten Erfolg, dass ich nicht gestorben bin, trotz der finsteren Prognose Ende 2007, trotz des Krankheitsverlaufs bis dahin, trotz der schwierigen Jahre zurück „ins Licht“ von 2008 bis Ende 2009. Und unterschreibe mit dickem Edding, dass Multiple Sklerose nicht unheilbar ist. Dass wir selbst großen Einfluß auf unsere Gesundheit haben – und unsere Heilung. Aber „Heilung“ zu verkürzen auf „Der war fast tot und nun ist er wieder topfit“, das ist eben zu kurz gedacht, zu sehr BILD-Schlagzeile und Talkshow-Taufbalken – und deshalb gefährlich, denn so rutscht dann die „Mission“ doch arg ins Kitschige, schlimmstenfalls Verlogene, geht es doch gerade darum, auch mit gewissen Einschränkungen den Geist (sic) nicht aufzugeben und aus allem gelassen das Beste zu machen. Mit Humor. Im Wissen, dass wir, selbst wenn wir sterben, nicht verloren gehen (wohin sollten wir?)

Manchmal stelle ich mir vor, ich wäre das, was in der Zeitung steht: Einst tot – jetzt topfit! Manchmal stelle ich mir vor, die Welt wäre aus Marzipan. Vergeht aber beides schnell wieder. Und so muss ich weiter bedauernd absagen, von Stuttgart bis Berlin, von Hörfunk bis Fernseh, denn das Kleingedruckte ist in mein Rückenmark graviert: Hoffnungsträger hin, Mission her, der Mann muss ein bisschen auf sich achten.

Eure Mails und Briefe beantworte ich aber weiter gern. Den Weg an den Schreibtisch schaffe ich ja auch mitten in der unvermeidlichen Herbstangeschlagenheit: problemlos.

P.S.: Btw., „Bildungsjuwel“ ist wirklich ein schönes Kompliment, D-Radio.

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