Ausgestorbene Bauernregel #1024: Wer schreibt, der bleibt

Junge Menschen wissen ja gar nicht, wie toll das ist, dieses Web 2.0. Zwar hat sich faktisch an den Aufstiegschancen für junge Künstler nicht das Geringste geändert, aber immerhin können wir alle uns heute als Fast-Schon-Weltstars fühlen. Früher brauchte man dazu schon starke Nerven oder prima Drogen, denn es kostete durchaus hartnäckige Ignoranz, sich als dauerabgelehnter Autor, Musiker, Maler oder Filmemacher irgendwie bedeutend vorzukommen – heute sind wir dank Youtube, Kickstarter und KDP ein paar entscheidende Wohlfühlschritte weiter.

Tatsächlich allerdings ist natürlich nicht mehr Platz in den Charts und Listen als früher, und das Publikum „da draußen“ hört, liest und sieht auch nicht mehr Kunst als dunnemals, die Tage sind ja nicht länger geworden. Vermutlich hat auch die Zahl der Künstler nicht zugenommen, nur sind sie heute im Unterschied zu früher scheinpräsent, denn während wir damals 20 Exemplare unseres ersten Romans im Copyshop selbst zusammenbinden mussten, um anschließend Wehrlose damit zu behelligen, lässt sich heute mittels KDP theoretisch die ganze Welt erreichen, mit Millionenauflagen, ebenfalls theoretisch. Das erhöht – gefühlt – die Bedeutung des einzelnen Künstlers, und selbst wer künstlerisch absolut nichts anzubieten hat, kann sich bedeutend fühlen, indem er sein ganzes Leben via Facebook und youtube ausstellt.

Ich verkneife mir inzwischen die Frage an NachwuchsautorInnen jeden Alters, ob sie denn auch lesen. Also: die Erstlinge anderer junger AutorInnen. So: KDP. Oder die Gedichte anderer Debütantinnen. Ebenso verkneife ich mir die Frage, für wen genau sie denn eigentlich schreiben, sprich: an wen sie denn denken, an wen das, was sie da zu Nichtpapier bringen, addressiert ist, wen es unterhalten, erfreuen oder auf die Folter spannen soll.

Die Frage ginge ins Leere. Denn es geht ja gar nicht ums Lesen. Und erst recht nicht darum, wem anders eine Freude zu bereiten. Es geht ums Schreiben. Und ums gelesen werden. Oder jedenfalls theoretisch gelesen werden könnten.

Die Realität darf dabei schön draußen bleiben.

Aber so viel Schadenfreude muss sein, auf eigene Kosten: ein befreundeter Autor und ich erörterten unlängst, wie viele Unterstützer wir denn wohl fänden, machten wir unsere neuen Romane selbst, via „crowdfunding“, wir Etablierten, er mit seinen diversen Sachbuch- und Romantiteln und seinem guten Ruf, ich mit meinen verkauften jaweißnichtzirka 300.000 Büchern, und wir kamen beide auf die gleiche garantiert mitzahlende Unterstützerschätzung: 5.

Wobei wir beide nicht ganz sicher waren, ob unsere Mütter tatsächlich mitmachen würden, denn die haben ja gar keinen Netzzugang. Also: 4. Die sind sicher. Aber ebenso sicher ist, dass das nicht ganz reicht.

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