Julia 2.0 braucht einen guten Nervenarzt

„Gerade die Beschwörung der Liebe verrät ihre Abwesenheit“, „Unser neues Auto ist schon jetzt Schrott von morgen“, „Wir selbst werfen die Perlen, die wir sind, vor die Säue“, „Das ist die eigentliche Botschaft der, Schulpflicht: Sitz!“, „Was nützt der freie Wille, wenn man nicht mal weiß, wer man ist und wo es langgeht?“ …

Zum Einrahmen, im Dutzend kostbarer, findet der geneigte Leser solche Sätze in Jan Moewes´ neuem Buch „Nur die Liebe kann uns und unsere Welt noch retten“. Sofern der Geneigte denn das Buch überhaupt findet, denn dazu braucht´s schon Lupe oder befreundeten Rat, denn die Liebe erscheint ja nicht im Buchhandel, nicht in Rezensionen und nicht mal auf Papier. Aber wir haben ja das Netz und das e-book und die Schwarmintelligenz, gottlob, so sind wir nicht komplett abhängig von Vertrieb und Marketing …

Moewes versteht es indes nicht nur, leichte, tonnengewichtige Aphorismen wie die paar oben zufällig ausgewählten lässig in seine Texte zu streuen, sondern verfügt auch über scharfe ironische Waffen. Ich habe an vielen Stellen tatsächlich laut gelacht, insbesondere bei Lektüre der Zerlegung von Julias „romantischer Liebe“ zu ihrem Romeo – beziehungsweise der Analyse dieser „Liebe“ als schwerst pathologisch. Wüssten doch nur mehr Frauen (und Männer sowieso), wie krank diese ganze Groschenromantik ist, die uns alltäglich medial um Ohren und Herzen hagelt, mei, garantiert wäre die Welt ein wesentlich besserer und vor allem entspannterer Ort.

Marginales Quengeln ist auf der 150-Seiten-Strecke allenfalls mit Rio Reiser erlaubt: „Liebt der Papa sein Auto wie die Mama den Kaffee, lieben Kinder Schokolade wie der Weihnachtsmann den Schnee, oder ist da mehr?“ Sprich: gelegentlich ist allzu viel Liebe unter einem Begriff versammelt und die „Lust“ nicht korrekt abgegrenzt von Spielarten wie „Opferbereitschaft“, „Partnerschaft“, „Freundschaft“, „Ehe“, „Teilen“ oder der ganz selbstlosen Liebe, die wir bestenfalls unseren Kindern gegenüber empfinden und leben. So könnten auch strandhaubitzenvolle Teilnehmer an Weihnachtsfeiern sich faul rausreden auf „Ja, aber das Moewes sagt doch, wahre Liebe sei Sex – also hab ich doch mit Frau Schulz aus der Buchhaltung die Welt gerettet, auf dem Kopierer.“ Andererseits: lesen ja Weihnachtsfeierteilnehmer nicht mit, also werden sich auch die Mißverständnisse in engen Grenzen halten.

Was bleibt? Moewes hat recht. Er hat großartige Sätze. Er verfügt über Weisheit, Wissen und Witz, ist zurecht sauer, entsetzt und fassungslos über die Beknacktheit der Menschen und liebt sie trotzdem. Und schafft es, nicht moralinsauer Leviten zu lesen, sondern – wenn überhaupt – ironisch.

Was endgültig sicherstellen dürfte, dass „Nur die Liebe“ kein Bestseller wird. Aber da hätt ich jetzt auch die Anführung weglassen können und es wäre genauso wahr.

Jan Moewes: Nur die Liebe kann uns und unsere Welt noch retten. (e-book, Droemer Knaur, September 2012, 6.49 €, grob geschätzt 150 Seiten).
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