Besserverdienendeblondinenbelletristik (pc)

Für Little Bee sollte man Chris Cleave in den Urlaub schicken. Nach Nigeria, aber nicht an den Strand, sondern zu ganz normalen Miliz-Mitgliedern im Hinterland. Sofern er das überlebt, schreibt er danach vielleicht ein gutes Buch. Oder wenigstens kein komplett beklopptes wie – Little Bee.

Aber was heißt hier „bekloppt“? Bekloppt wäre ja bloß einfach doof, daneben, debil, vielleicht ärgerlich, aber Cleaves Buch ist noch viel schlimmer. Nennen wir´s: krank, link, menschenverachtend, kalkuliert, zynisch. Weil?

Die Verlags-PR ist prima, sinngemäß oder fast wörtlich: „Wir können Ihnen nicht verraten, was in diesem Buch passiert, aber es wird sie total mitnehmen!“ Und Cleave baut seine Story dann auch so auf, anfangs noch mit sauberen Mitteln (bis zirka Seite 20): Wir lernen ein junges nigerianisches Flüchtlingsmädchen bei der Quasi-Flucht aus einer Asylbaracke bei London kennen – einem Detention Center, in dem die Ärmste zwei Jahre lang hocken musste. Davon wird Cleave irgendwann mal gelesen haben, in einem Frauenblatt, und Little Bee – dieses Mädchen – wäre in der Tat eine interessante Figur. Ist interessant. Von ihr und ihrem Leben, ihrem Weg, will ich etwas wissen.

Nun weiß aber Cleave, der Kenner: Das will seine Zielgruppe eben nicht. Nämlich das wissen. Denn seine Zielgruppe sind Frauen. Mitte 30 bis Mitte 40, urban, modisch, irgendwas mit Medien oder „wär gern irgendwas mit Medien“, mit Zeit für Wellness, Shoppen, Lesen und vor allem mit Interesse daran, interessiert an der Welt zu wirken, kurz: ultimative Dumpfbacken. Also erfindet Cleave eine Protagonistin, mit der sich seine Zielgruppe komplett identifizieren kann. Sarah. Blonde Chefredakteurin eines Frauen-Lifestyle-Magazins. Mutter eines putzigen Vierjährigen, der den ganzen Tag im Batman-Kostüm rumläuft. Und Sarah verbindet etwas Entsetzliches mit Little Bee. Aber was? Das können wir Ihnen nicht verraten!

Selbst als Little Bee und die blonde Dumpfbacke nach der entsetzlichen Beerdigung von Dumpfbackes selbstgemordetem Mann zusammentreffen (den ebenfalls etwas ENTSETZLICHES mit Little Bee verbindet, aber was?), erfahren wir Leser nicht, worum es sich handelt. Die (Ich-Erzähler)-Frauen müssten zwar sofort über dieses ENTSETZLICHE reden oder daran denken (spätestens jetzt, aber eigentlich müssten Sie von Anfang an dauernd dran denken), aber das tun sie nicht – auch nach der Wiederbegegnung nicht. Wär ja auch doof, denn dann wüsste ja die Leserin, um was es sich handelt bei dem mysteriösen ENTSETZLICHEN „Ereignis“, das die beiden verbindet. Und das sie einander, sich selbst und uns verschweigen.

Dieser billige Taschenspielertrick nervt dermaßen, dass man das Buch spätestens auf Seite 80 empört in den Kamin werfen möchte – aber wer selbst als Erzähler arbeitet, der sitzt einfach fassungslos vor dem unfassbaren Chuzpe-Zeugnis (im Wissen, dass eine Million beknackte Sarahs das Buch zum Bestseller gemacht haben) und möchte doch dringend wissen, ob´s etwa noch schlimmer werden kann – oder ob´s wenigstens handwerklich rechtschaffen weitergeht und dämlich, also kitschig endet.

Aber nichts da. Es wird schlimmer. Cleave gibt alles. Denn ihm ist sehr bewusst, dass seine dämliche Leserin sich einen Scheiß für Nigeria oder das Schicksal nigerianischer Mädchen interessiert. Sprich: Little Bee ist Staffage und Quotennegerin, aber bleiben kann sie natürlich nicht, weder in England noch am Leben, denn das wäre nicht ausreichend tragisch für die Million lesender Sarahs. Also muss Little Bee weg. (Interessanterweise scheint Cleave auf dem Weg seine Protagonistin selbst hassen zu lernen, kann ihr das aber nicht auf den Kopf zuschreiben, schließlich will er seine Leserinnen (die er offenbar ebenfalls hasst) nicht verlieren (weil er ihr Geld braucht). Ob er sich mag? Passe …)

Die komplett unglaubwürdige Story entwickelt sich dann jedenfalls vor- und rückblickend so (Spoiler! Unbedingt!): Sarah, blond wie ein Eimer, ist unreflektiert in der Midlife-Crisis. Ihren netten, klugen und politisch interessierten Times-Kolumnisten-Mann betrügt sie mit einem attraktiven Deppen (Männe ist so nett, trotzdem zu bleiben), sagt ihm das auch noch (Männe ist so nett, trotzdem zu bleiben), betrügt ihn weiter (Männe ist so nett, mei  …), lädt ihn dann zum Versöhnungs-Urlaub ein, ausgerechnet nach Bürgerkriegs-Nigeria, was er für eine dämliche Idee hält, ihr aber nicht ausreden kann (er ist so nett …); wo die beiden dann am Strand über zwei verfolgte Mädchen stolpern (Little Bee & Schwester) und an eine Bande Söldner geraten, die die Mädchen töten wollen. Der fiese Anführer verspricht, die Mädchen freizulassen, wenn Saras Männe sich einen Finger mit der Machete abschlägt, Männe versucht´s (nett) und versagt (nett), dafür schlägt sich Sarah ohne zu Zögern einen Finger ab (boah, taff!) – aber freigelassen werden die Mädchen trotzdem nicht (nicht nett, die Mördermilizen). Sarah und Männe fahren heim, Sara findet Männe schwach, wegen des Fingers, betrügt ihn offen weiter mit dem attraktiven Deppen, Männe findet sich auch schwach (wie nett), zerbricht vor Scham und hängt sich auf (zu nett für diese Welt, nee, zu blöd, aber sonst wär er ja auch nicht mit Sarah verheiratet). Unterdessen wird Little Bees Schwester totgefoltert, vergewaltigt und zerhackt, vor den Augen und Ohren der kleinen Schwester, deren lange Flucht anschließend in zirka einem Absatz zusammen gefasst sind, denn solche Details interessieren Cleave nicht besonders; er muss sich ja um Sarahs Gedanken, ihren Job bei ihrer Frauenzeitschrift und ihre Affäre kümmern. Sowie den putzigen Sohn, Batman, der nicht richtig sprechen kann.

Little Bee taucht bei Sarah auf und freundet sich dem zurückgebliebenen Kind an. Das am Themseufer verloren geht, worauf Little Bee die Polizei rufen muss (sie ist so nett), worauf sie festgenommen und ausgewiesen wird – nach Nigeria. Heldin Sarah taucht im Deportationsflugzeug auf, begleitet Little Bee nach Nigeria und schreibt über sie, um sie zu schützen. Schleppt die junge Frau dann aber ohne Motiv und Verstand an einen Strand wie den ursprünglichen, wo die Polizei Little Bee aufgreift und mitnimmt. Cleave lässt keinen Zweifel, dass die Kleine damit ihr Schicksal gefunden hat, also entsorgt ist, also tot. Ende.

Merke: das (Little Bee = tot) erfahren wir auf der letzten Seite, allerdings wird die Geschichte – wenigstens Little Bees Seite der Geschichte – die ganze Zeit von der „Ich-Erzählerin“ Little Bee vorgetragen. Die nach allen Basisregeln des Erzählens nun eigentlich nicht tot sein dürfte, weil ja Tote keine rückblickende Geschichte erzählen können.

Aber bei Cleave geht auch das, natürlich. Es merkt ja keiner. Oder eben: keine. Und das ist das eigentlich Erschütternde an diesem Buch – beziehungsweise am Erfolg des Buchs. Dass es Menschen, Leserinnen gibt, die das alles nicht merken. Die das alles nicht lesen. Denen völlig wurscht ist, dass das Buch einfach nicht geht, nicht funktioniert, dass es nicht nur inhaltlich skandalös ist, sondern obendrein handwerklich unmöglich, ein peinlicher Fall, den jeder Lektor mit Schwung in die Altpapiertonne hätte entsorgen müssen.

Aber sie merken es nicht, die Sarahs. Sie lesen das in Scharen, finden sich gegenseitig politisch interessiert, weil eine kleine Nigerianerin als Staffage im brunzblöden Egoistinnenleben ihres Alter Ego Sarah mitspielt, und legen das dämliche Machwerk am Ende mit einer Träne im Auge auf den Coffeetable – sowie den Worten, „Ach, das war ja sooo erschütternd“ ihren Freundinnen ans Herz.

Immerhin, das stimmt, irgendwie. Erschütternd ist´s.

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